Krähenpost
Samstag, 29. August 2020

Der Kuchen

Man saß in altvertrauter Runde Um den Tisch, in aller Munde Mischte Kuchen sich mit Speichel Und mit Tee. ´Ner ohne Zweifel Exquisiten Mischung aus Dem besten Bremer Bürgerhaus.

Der Kuchen war aus Rumrosinen, Margarine, Mohn. Es schienen Alle Mäuler um den Tisch Recht stark, doch angenehm erfrischt, Als plötzlich mitten unter ihnen Jemand schrie. Und alle Mienen Der Versammlung wurden starr, Weil man doch sah, dass niemand da War, dem den Schrei man zuzuordnen Wirklich in der Lage war.

Nun mag die eine oder and‘re Rezipientenhypothese Wenn der Blick zum Titel wandert Ahnen, welchem Wunderwesen Dieser Überraschungsschrei Am Tisch wohl zuzuordnen sei. Und klar: Natürlich war‘s der Kuchen, Dessen Schrei wir nun versuchen Mit den Mitteln dürrer Lyrik Stück für Stück zu untersuchen.

Wie ich schon erwähnte, kauten Alle schon. Insofern traute Man sich wirklich nicht zu viel Wenn man auf Backwerkschmerzen schielt Als Grund für Schrei und dessen Folgen. Doch gefehlt! Mal ernsthaft: Wollten Wir den bloßen Teigverzehr (Plus Deko) hier kausal annehmen, Nur weil‘s naheliegend wär? Ja Himmel! Müssten wir uns schämen Bei den schieren Kuchenmassen Die wir Tag für Tag verprassen. Stellt Euch vor: Mit jedem Bissen Schmerz und Folter! Und das Wissen Dass, falls später noch ein Stück Vom Kuchen in den Eisschrank rückt, Die ganze Scheiße morgen schon Von Neuem losgeht. Welche Fron...

Jedenfalls: Die Frage bleibt, Was einen Kuchen denn wohl treibt, Ein bürgerliches Kaffeekränzchen, (Oder Tee-, wie ich ergänzen Muss) durch lauthalse Spirensken Bestenfalls zu irritieren, Schlimmstenfalls zu liquidieren! Schließlich ist's 'ne Teegesellschaft, Deren ältere Belegschaft Kucheninduzierte Schrecken Nicht verkraftet wegzustecken. Und von der Natur her ist Ein Kuchen ja kein Anarchist Im Gegenteil: Die Hauptbestimmung Eines Kuchens ist Besinnung, Sättigung und Lust zu bringen Sättigung vor allen Dingen.

Gut. Ein Kuchen also, der Ganz plötzlich schreit. Wer weiß es? Wer? Gar niemand? Hab ich‘s doch geahnt, Zu lang schon schwafle ich, da lahmt Der Spürsinn aller Leser_innen Schnell. Der Scharfsinn ist von hinnen. Kürzen wir die Untersuchung Also ab. Denn so ein Kuchen Der laut schreit, kann doch bestimmt Auch reden, wenn er sich besinnt. Und da von ihm ein großer Teil Noch immer auf dem Tisch verweilt Wird die Erzählung hier gestoppt.

Der Kuchen wird am Schopf gepackt (Also, nicht echt, nur als Metapher) Und direkt gefragt: „Jetzt schaffe Bitte ein für alle Mal Uns allen Klarheit: Hast du Qual Gelitten, weil du angeschnitten Wurdest? Was hat dich geritten?“ Und der Kuchen? Er, tatsächlich(!), Dreht sich um, wenn auch gemächlich, Bis er uns von Angesicht Zu Angesicht sieht und dann spricht: „Jetzt ein für alle Mal, du Pfosten! Dichterische Freiheit: Ja. Aber nicht auf meine Kosten! Und nicht so. Ist das jetzt klar? Drei! Soll ich es größer schreiben? Nur DREI Eigenschaften sind Mir in diesem Reim zu eigen, Sind wir einig, dass das stimmt? Und wenn du, nach Beifall haschend, DAS nicht hinkriegst - ich mein’: DREI! - Ist es wirklich überraschend Dass ich dann ein bisschen schrei‘?“ „Nee“, sag ich. „Doch hilf mir bitte Auf die Sprünge, Sahneschnitte...!“ „NEIN VERDAMMT! ICH BIN EIN KUCHEN! KEINE TORTE, VOLLIDIOT!“ „Ist gut“, sag ich, „ich werd‘s versuchen. Alles klar und voll im Lot?“ „Nein, nein!“ ruft er mit düst‘rer Miene. „Ich bin NICHT aus MARGARINE! Wie du anfangs einmal sagtest, Darum schrie ich! Ja das war es!

Bin aus reiner deutscher Butter! Deutscher Vater! Deutsche Mutter! Deutsche Kuh und deutsches Gras, Deutsche Milch aus deutschem Glas! Alles deutsch! Verstehste? Alles!“ „Alles klar“, sag ich, „ich schnall es. Du bist halt, wie’s manchmal ist, Einfach nur ein scheiß Rassist.“ Und ich hebe ich ihn mit Wonne Hoch und schmeiß ihn in die Tonne.

Freitag, 28. August 2020

Die flüsternden Eichen

Unweit der Kirche, rechts neben dem Turm, Da hat eine Gruppe von Eichen dem Sturm Der Zeit widerstanden. Sie steh'n einfach da Und flüstern im Wind. (Nur sehr leise, is‘ klar).

Denn wären sie lauter und jemand hört mit, Gäb‘s großes Hallo. "Krank! Die reden? No shit?!" Auch abseits vom floral-oralen Skandal Gäb‘s inhaltlich Provokationspotential:

Die Eichen, sie haben schon lange kapiert, Dass Stehen und Schweigen allein nicht pläsiert. Genauso war klar, dass nur Smalltalk auf Zeit Ziemlich nervtötend ist. Kurz: Man wird ihn schnell leid.

Denn Wetter, Befruchtung und Krankheiten sind Mal irgendwann durch. Und dann steh‘ste im Wind Und hast nix zu sagen. Ein „Du, ich muss los...“ Ist irgendwie peinlich und, tja, aussichtlos.

Drum haben die Bäume (es war Krieg, und sie hatten Grad kaum mehr zu tun als Nazis beschatten) Beschlossen, sie bräuchten wohl eine Agenda Mit Themen. Problem: Es war kein Referent da!

Doch ganz ohne kundige Einstiegsgrundlage Bleibt so ein Diskurs häufig kurz und auch vage. Was blieb? Lang verlegenes Scharr‘n mit den Wurzeln Noch während im Schatten die Nazis umpurzeln.

„Die Kirche!“ rief eine, „direkt nebenan! Hat viel schon erlebt und wir immer nah dran! Wir haben gesehen, wie Heiden getauft, Wie Hexen verbrannt und Vergebung erkauft,

Wir haben die Kreuzzüge loslatschen sehn, Und später den Luther zum Bischof hingeh‘n, Wir haben gehört, wie der Pfarrer noch grad Die Juden beschimpft und dann abgeholt hat.

Wir sind kraft Beobachtung, Standort und Zeit Die größten Experten im Land weit und breit Für Kirchengeschichte und auch Religion, Das ist doch ein Thema für viel Diskussion!“

Die anderen schwiegen. Dann eine: „Warum? Die Sache ist klar: Wer glaubt ist halt dumm. Die Religion nutzt eine Sehnsucht nach Sinn Für Machtmaximierung und Geltungsgewinn.“

Die anderen nicken noch, als nebenan Bei Glockengeläute `ne Frau und ein Mann Mit Brautkleid und Anzug zur Kirche hingeh‘n Und kurz zu der Gruppe von Eichen hinseh‘n.

Er: „Hörst du sie flüstern? Sie wünschen uns Glück!“ Sie: „Deutlich. Oh Erwin! Komm, trag mich ein Stück!“ Der Pfarrer steht schon in der Tür und er winkt Dem Paar mit dem Kreuz, das im Sonnenlicht blinkt.

Der Wind frischt auf, bläst in die Blätter hinein, Die Eichen, sie flüstern im trauten Verein. „Ist frisch heut“, sagt eine zum restlichen Tross, „War nett euch zu sehen. Ich... muss dann mal los...“

Donnerstag, 27. August 2020

Hund

Es lief aus keinem guten Grund Durchs Viertel einst ein kleiner Hund. Er hatte Langeweile und Sah in den Fenstern all den Schund, Den Menschen kaufen. Beispielsweise: Latex-Strapse, Bügeleisen, Bücher voll mit pseudoweisen Anekdoten von den Reisen Eines kleinen Hundes, der Durch die Stadt läuft, während er In die Fenster schauend schwer Atmend gern woanders wär. 'Armer Hund!' sann er, 'Ich nöle Nie mehr wieder!" Dumme Töle.

Mittwoch, 26. August 2020

Die Fliege

Im Bücherschrank, bei Kierkegaard, Wo Wahrheit nah am Wahnsinn lag, Sah ich sie eines Tages liegen, Still, verkrümmt. Die Stubenfliege.

Offenbar belesen hat Sich dies Tier noch bis ins Grab An den letzten großen Fragen Abgeplagt. Ich muss schon sagen: Heidewitzka und Respekt! Hab nie ein Insekt entdeckt Das mit solcher Leidenschaft Sich des Sinnens stiller Kraft Bis zuletzt befleißigt hat Ob erfolgreich? Keiner sagt, Keiner weiß es. Denn nun lag Sie vertrocknet (und zwar arg) Im Regal. Und sah geplagt, Fast vergrämt aus. Ich erschrak!

Was, wenn uns're Philosophen, Diese klugen (manchmal doofen) Denker/innen all die Zeit Mit den Fragen, die sie weit Häufiger als Einsicht fanden, Die Insektenwelt zuschanden Und zugrund' gerichtet haben? Weil die Fliegen, Käfer, Maden All die paradoxen Schleifen Durchaus sehn, doch nicht begreifen Konnten. Und dann sehr frustriert Ihres Lebens verlustiert Und abhanden 'kommen sind...

Möglich wär’s! Ich nahm geschwind Meinen allerbesten Besen Und lies diesem armen Wesen Ein Begräbnis ersten Rangs An der Wand des Bücherschranks Hinter Hegel, Marx und Kant Angedeih'n. Und wenn ich mal Müde von des Denkens Qual Mich erinnern will, wie gut Großhirnschmalz beim Denken tut, Zieh ich Hegel, Marx und Kant Aus dem Schrank, schau an die Wand Und beschau die Fliege: "Dich! Hat’s vernichtet. Und mich nich!"

Dienstag, 25. August 2020

Puttgarden

Puttgarden. Schon der Name: Kapitulation. Die Insel. Schöner als ihr Ruf? (Ich würge schon). Die Autobahn. Dem Namen nach ein Prototyp: A1 - Welcome to German... Fenster zu! Es zieht!

Die and'ren haben Lego. Wir hab'n Klötze. Und wir zählen. Alles. Sehr genau. Sie: Schätzen. Wir hab'n Schubladen. Für alles und für jeden. So wie sie. Jedoch: Mit ihnen lässt sich reden.

Puttgarden. Alles alt und schön und schlimm Und so wie alle bin ich wieder mittendrin Und schimpfe und erziehe und verdiene. Viel gelernt, gelacht. Verstaut. Jetzt: Alte Schiene.

Sonntag, 23. August 2020

Tivoli

Ich war noch nie Im Tivoli. Sah nie die Blumen, Hotdog-Krumen, Spatzen zeternd auf den Plätzen, Eifrig ihre Schnäbel wetzen, Hörte nie das Stimmgewimnel Oder Rathausturmgebimmel, Staunen, Schreien, Kinderkreischen, Lampenschwanken, Giergeheische, Nie am Himmel daunensatte, Unten rosa Zuckerwatte, Floh nie vor dem Sommerregen, Unter Bäume, Pfützen wegen, Stellte mich den Sonnenstrahlen, Die durch Wolkenlöcher prahlen, War noch nie im Tivoli, Und werd' es nie Vergessen. Hie' Und da Stattdessen Mal die Rosa Zuckerwatte Essen.

Samstag, 22. August 2020

Wellenmusik

An Bord der Fähre steht ein Mann Der leidlich musizieren kann Er spielt Oasis' "Wonderwall" (Wenn’s das denn wirklich seien soll...) Und konkurriert mit See und Wind Darum, dass er Beachtung find'.

Ein Kampf, den jeder brave Mann Im Grunde stets verliert, bis dann Bei ungefähr Windstärke acht Die Mutti bleich an Deck gebracht Wird und die Fische stetig füttert. "Schau, die Bockwurst! Stark zerknittert Und zerkaut! Mit Brötchen und Mit Zwiebeln." Würg! Schwups, auf den Grund.

Der Wind verliert an Sympathie, Die Mutti stöhnt und flucht wie nie, Und plötzlich kriegt der Musikmann Beachtung. Weil er Musik kann Und jene Ablenkung verschafft, Die Mutti braucht. Statt Wellenkraft. "Hör zu, der spielt grad unser Lied!" Ruft Vatti, als er Mutti sieht, Wie sie erst weiß wird und dann grün (Gleich wird sie ihre Wurst versprüh'n...) "Komm lass uns schwofen Schatzilein!" Doch Schatzilein muss erst mal spei'n.

Der Musikant indessen hat Beendet, was begonnen grad Als "Life is life!", gar nicht mal gut, Und göbelt kurz in seinen Hut. Der Wind nimmt zu, mit ihm die Wellen, Die an Bord die Blässe schwellen Lassen bis mit einem Mal Die Schiffsbesatzung kotzt. Im Strahl. Die Szene, die nun folgt, ist wild Und suchte man nach einem Bild Wär’s eher Pollock als Renoir Mehr Otto Dix als ein Degas.

Wo waren wir? Der Musikant! Ja richtig! Hut ab, Guter Mann! Nachdem der erstere entleert (Also der Hut), wird frisch geehrt Das Andenken des King of Soul: James Brown wird angestimmt, und wohl Im selben Augenblick das Schiff Gesteuert auf ein großes Riff. "Ein Riff?" denkt ihr? "Im Ernst?" und wundert Euch. "Im einundzwanzigsten Jahrhundert?" Dazu muss man wissen, dass Der Kapitän, das alte Aas, Säuft, wie ein Loch, bei Tag und Nacht Und selten auf der Brücke wacht. Sein Selbstverständnis ist, ganz schnell Umrissen, unprofessionell.
Und als das Schiff vor Skagen sinkt Ist er der erste, der den Drink Abstellt und sich noch in der Nacht Per Rettungsboot vom Acker macht.

Für Mutti und den Musikus, Für Vatti und den Rest ist: Schluss. Doch kurz vorm Ende stimmt der Mann Mit der Gitarre dies hier an: "Es war mir ein Vergnügen Euch Zu unterhalten. Und mich freut Ein wenig, dass der letzte Song In Eurem Leben der hier..." KLONK! Dann knallt er gegen eine Wand. Das ist, wie er sein Ende fand. Was besser ist als kaltes Wasser, Das voll Kotze ist. Und nasser.

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