Samstag, 29. August 2020
Der Kuchen
Erstellt von kraehenpost um 15:23
Man saß in altvertrauter Runde
Um den Tisch, in aller Munde
Mischte Kuchen sich mit Speichel
Und mit Tee. ´Ner ohne Zweifel
Exquisiten Mischung aus
Dem besten Bremer Bürgerhaus.
Der Kuchen war aus Rumrosinen,
Margarine, Mohn. Es schienen
Alle Mäuler um den Tisch
Recht stark, doch angenehm erfrischt,
Als plötzlich mitten unter ihnen
Jemand schrie. Und alle Mienen
Der Versammlung wurden starr,
Weil man doch sah, dass niemand da
War, dem den Schrei man zuzuordnen
Wirklich in der Lage war.
Nun mag die eine oder and‘re
Rezipientenhypothese
Wenn der Blick zum Titel wandert
Ahnen, welchem Wunderwesen
Dieser Überraschungsschrei
Am Tisch wohl zuzuordnen sei.
Und klar: Natürlich war‘s der Kuchen,
Dessen Schrei wir nun versuchen
Mit den Mitteln dürrer Lyrik
Stück für Stück zu untersuchen.
Wie ich schon erwähnte, kauten
Alle schon. Insofern traute
Man sich wirklich nicht zu viel
Wenn man auf Backwerkschmerzen schielt
Als Grund für Schrei und dessen Folgen.
Doch gefehlt! Mal ernsthaft: Wollten
Wir den bloßen Teigverzehr
(Plus Deko) hier kausal annehmen,
Nur weil‘s naheliegend wär?
Ja Himmel! Müssten wir uns schämen
Bei den schieren Kuchenmassen
Die wir Tag für Tag verprassen.
Stellt Euch vor: Mit jedem Bissen
Schmerz und Folter! Und das Wissen
Dass, falls später noch ein Stück
Vom Kuchen in den Eisschrank rückt,
Die ganze Scheiße morgen schon
Von Neuem losgeht. Welche Fron...
Jedenfalls: Die Frage bleibt,
Was einen Kuchen denn wohl treibt,
Ein bürgerliches Kaffeekränzchen,
(Oder Tee-, wie ich ergänzen
Muss) durch lauthalse Spirensken
Bestenfalls zu irritieren,
Schlimmstenfalls zu liquidieren!
Schließlich ist's 'ne Teegesellschaft,
Deren ältere Belegschaft
Kucheninduzierte Schrecken
Nicht verkraftet wegzustecken.
Und von der Natur her ist
Ein Kuchen ja kein Anarchist
Im Gegenteil: Die Hauptbestimmung
Eines Kuchens ist Besinnung,
Sättigung und Lust zu bringen
Sättigung vor allen Dingen.
Gut. Ein Kuchen also, der
Ganz plötzlich schreit. Wer weiß es? Wer?
Gar niemand? Hab ich‘s doch geahnt,
Zu lang schon schwafle ich, da lahmt
Der Spürsinn aller Leser_innen
Schnell. Der Scharfsinn ist von hinnen.
Kürzen wir die Untersuchung
Also ab. Denn so ein Kuchen
Der laut schreit, kann doch bestimmt
Auch reden, wenn er sich besinnt.
Und da von ihm ein großer Teil
Noch immer auf dem Tisch verweilt
Wird die Erzählung hier gestoppt.
Der Kuchen wird am Schopf gepackt
(Also, nicht echt, nur als Metapher)
Und direkt gefragt: „Jetzt schaffe
Bitte ein für alle Mal
Uns allen Klarheit: Hast du Qual
Gelitten, weil du angeschnitten
Wurdest? Was hat dich geritten?“
Und der Kuchen? Er, tatsächlich(!),
Dreht sich um, wenn auch gemächlich,
Bis er uns von Angesicht
Zu Angesicht sieht und dann spricht:
„Jetzt ein für alle Mal, du Pfosten!
Dichterische Freiheit: Ja.
Aber nicht auf meine Kosten!
Und nicht so. Ist das jetzt klar?
Drei! Soll ich es größer schreiben?
Nur DREI Eigenschaften sind
Mir in diesem Reim zu eigen,
Sind wir einig, dass das stimmt?
Und wenn du, nach Beifall haschend,
DAS nicht hinkriegst - ich mein’: DREI! -
Ist es wirklich überraschend
Dass ich dann ein bisschen schrei‘?“
„Nee“, sag ich. „Doch hilf mir bitte
Auf die Sprünge, Sahneschnitte...!“
„NEIN VERDAMMT! ICH BIN EIN KUCHEN!
KEINE TORTE, VOLLIDIOT!“
„Ist gut“, sag ich, „ich werd‘s versuchen.
Alles klar und voll im Lot?“
„Nein, nein!“ ruft er mit düst‘rer Miene.
„Ich bin NICHT aus MARGARINE!
Wie du anfangs einmal sagtest,
Darum schrie ich! Ja das war es!
Bin aus reiner deutscher Butter!
Deutscher Vater! Deutsche Mutter!
Deutsche Kuh und deutsches Gras,
Deutsche Milch aus deutschem Glas!
Alles deutsch! Verstehste? Alles!“
„Alles klar“, sag ich, „ich schnall es.
Du bist halt, wie’s manchmal ist,
Einfach nur ein scheiß Rassist.“
Und ich hebe ich ihn mit Wonne
Hoch und schmeiß ihn in die Tonne.
Freitag, 28. August 2020
Die flüsternden Eichen
Erstellt von kraehenpost um 16:36
Unweit der Kirche, rechts neben dem Turm,
Da hat eine Gruppe von Eichen dem Sturm
Der Zeit widerstanden. Sie steh'n einfach da
Und flüstern im Wind. (Nur sehr leise, is‘ klar).
Denn wären sie lauter und jemand hört mit,
Gäb‘s großes Hallo. "Krank! Die reden? No shit?!"
Auch abseits vom floral-oralen Skandal
Gäb‘s inhaltlich Provokationspotential:
Die Eichen, sie haben schon lange kapiert,
Dass Stehen und Schweigen allein nicht pläsiert.
Genauso war klar, dass nur Smalltalk auf Zeit
Ziemlich nervtötend ist. Kurz: Man wird ihn schnell leid.
Denn Wetter, Befruchtung und Krankheiten sind
Mal irgendwann durch. Und dann steh‘ste im Wind
Und hast nix zu sagen. Ein „Du, ich muss los...“
Ist irgendwie peinlich und, tja, aussichtlos.
Drum haben die Bäume (es war Krieg, und sie hatten
Grad kaum mehr zu tun als Nazis beschatten)
Beschlossen, sie bräuchten wohl eine Agenda
Mit Themen. Problem: Es war kein Referent da!
Doch ganz ohne kundige Einstiegsgrundlage
Bleibt so ein Diskurs häufig kurz und auch vage.
Was blieb? Lang verlegenes Scharr‘n mit den Wurzeln
Noch während im Schatten die Nazis umpurzeln.
„Die Kirche!“ rief eine, „direkt nebenan!
Hat viel schon erlebt und wir immer nah dran!
Wir haben gesehen, wie Heiden getauft,
Wie Hexen verbrannt und Vergebung erkauft,
Wir haben die Kreuzzüge loslatschen sehn,
Und später den Luther zum Bischof hingeh‘n,
Wir haben gehört, wie der Pfarrer noch grad
Die Juden beschimpft und dann abgeholt hat.
Wir sind kraft Beobachtung, Standort und Zeit
Die größten Experten im Land weit und breit
Für Kirchengeschichte und auch Religion,
Das ist doch ein Thema für viel Diskussion!“
Die anderen schwiegen. Dann eine: „Warum?
Die Sache ist klar: Wer glaubt ist halt dumm.
Die Religion nutzt eine Sehnsucht nach Sinn
Für Machtmaximierung und Geltungsgewinn.“
Die anderen nicken noch, als nebenan
Bei Glockengeläute `ne Frau und ein Mann
Mit Brautkleid und Anzug zur Kirche hingeh‘n
Und kurz zu der Gruppe von Eichen hinseh‘n.
Er: „Hörst du sie flüstern? Sie wünschen uns Glück!“
Sie: „Deutlich. Oh Erwin! Komm, trag mich ein Stück!“
Der Pfarrer steht schon in der Tür und er winkt
Dem Paar mit dem Kreuz, das im Sonnenlicht blinkt.
Der Wind frischt auf, bläst in die Blätter hinein,
Die Eichen, sie flüstern im trauten Verein.
„Ist frisch heut“, sagt eine zum restlichen Tross,
„War nett euch zu sehen. Ich... muss dann mal los...“
Donnerstag, 27. August 2020
Hund
Erstellt von kraehenpost um 09:30
Es lief aus keinem guten Grund
Durchs Viertel einst ein kleiner Hund.
Er hatte Langeweile und
Sah in den Fenstern all den Schund,
Den Menschen kaufen. Beispielsweise:
Latex-Strapse, Bügeleisen,
Bücher voll mit pseudoweisen
Anekdoten von den Reisen
Eines kleinen Hundes, der
Durch die Stadt läuft, während er
In die Fenster schauend schwer
Atmend gern woanders wär.
'Armer Hund!' sann er, 'Ich nöle
Nie mehr wieder!" Dumme Töle.
Mittwoch, 26. August 2020
Die Fliege
Erstellt von kraehenpost um 18:14
Im Bücherschrank, bei Kierkegaard,
Wo Wahrheit nah am Wahnsinn lag,
Sah ich sie eines Tages liegen,
Still, verkrümmt. Die Stubenfliege.
Offenbar belesen hat
Sich dies Tier noch bis ins Grab
An den letzten großen Fragen
Abgeplagt. Ich muss schon sagen:
Heidewitzka und Respekt!
Hab nie ein Insekt entdeckt
Das mit solcher Leidenschaft
Sich des Sinnens stiller Kraft
Bis zuletzt befleißigt hat
Ob erfolgreich? Keiner sagt,
Keiner weiß es. Denn nun lag
Sie vertrocknet (und zwar arg)
Im Regal. Und sah geplagt,
Fast vergrämt aus. Ich erschrak!
Was, wenn uns're Philosophen,
Diese klugen (manchmal doofen)
Denker/innen all die Zeit
Mit den Fragen, die sie weit
Häufiger als Einsicht fanden,
Die Insektenwelt zuschanden
Und zugrund' gerichtet haben?
Weil die Fliegen, Käfer, Maden
All die paradoxen Schleifen
Durchaus sehn, doch nicht begreifen
Konnten. Und dann sehr frustriert
Ihres Lebens verlustiert
Und abhanden 'kommen sind...
Möglich wär’s! Ich nahm geschwind
Meinen allerbesten Besen
Und lies diesem armen Wesen
Ein Begräbnis ersten Rangs
An der Wand des Bücherschranks
Hinter Hegel, Marx und Kant
Angedeih'n. Und wenn ich mal
Müde von des Denkens Qual
Mich erinnern will, wie gut
Großhirnschmalz beim Denken tut,
Zieh ich Hegel, Marx und Kant
Aus dem Schrank, schau an die Wand
Und beschau die Fliege: "Dich!
Hat’s vernichtet. Und mich nich!"
Dienstag, 25. August 2020
Puttgarden
Erstellt von kraehenpost um 13:53
Puttgarden. Schon der Name: Kapitulation.
Die Insel. Schöner als ihr Ruf? (Ich würge schon).
Die Autobahn. Dem Namen nach ein Prototyp:
A1 - Welcome to German... Fenster zu! Es zieht!
Die and'ren haben Lego. Wir hab'n Klötze.
Und wir zählen. Alles. Sehr genau. Sie: Schätzen.
Wir hab'n Schubladen. Für alles und für jeden.
So wie sie. Jedoch: Mit ihnen lässt sich reden.
Puttgarden. Alles alt und schön und schlimm
Und so wie alle bin ich wieder mittendrin
Und schimpfe und erziehe und verdiene.
Viel gelernt, gelacht. Verstaut. Jetzt: Alte Schiene.
Sonntag, 23. August 2020
Tivoli
Erstellt von kraehenpost um 22:17
Ich war noch nie
Im Tivoli.
Sah nie die Blumen,
Hotdog-Krumen,
Spatzen zeternd auf den Plätzen,
Eifrig ihre Schnäbel wetzen,
Hörte nie das Stimmgewimnel
Oder Rathausturmgebimmel,
Staunen, Schreien,
Kinderkreischen,
Lampenschwanken,
Giergeheische,
Nie am Himmel daunensatte,
Unten rosa Zuckerwatte,
Floh nie vor dem Sommerregen,
Unter Bäume, Pfützen wegen,
Stellte mich den Sonnenstrahlen,
Die durch Wolkenlöcher prahlen,
War noch nie im Tivoli,
Und werd' es nie
Vergessen. Hie'
Und da
Stattdessen
Mal die
Rosa Zuckerwatte
Essen.
Samstag, 22. August 2020
Wellenmusik
Erstellt von kraehenpost um 18:59
An Bord der Fähre steht ein Mann
Der leidlich musizieren kann
Er spielt Oasis' "Wonderwall"
(Wenn’s das denn wirklich seien soll...)
Und konkurriert mit See und Wind
Darum, dass er Beachtung find'.
Ein Kampf, den jeder brave Mann
Im Grunde stets verliert, bis dann
Bei ungefähr Windstärke acht
Die Mutti bleich an Deck gebracht
Wird und die Fische stetig füttert.
"Schau, die Bockwurst! Stark zerknittert
Und zerkaut! Mit Brötchen und
Mit Zwiebeln." Würg! Schwups, auf den Grund.
Der Wind verliert an Sympathie,
Die Mutti stöhnt und flucht wie nie,
Und plötzlich kriegt der Musikmann
Beachtung. Weil er Musik kann
Und jene Ablenkung verschafft,
Die Mutti braucht. Statt Wellenkraft.
"Hör zu, der spielt grad unser Lied!"
Ruft Vatti, als er Mutti sieht,
Wie sie erst weiß wird und dann grün
(Gleich wird sie ihre Wurst versprüh'n...)
"Komm lass uns schwofen Schatzilein!"
Doch Schatzilein muss erst mal spei'n.
Der Musikant indessen hat
Beendet, was begonnen grad
Als "Life is life!", gar nicht mal gut,
Und göbelt kurz in seinen Hut.
Der Wind nimmt zu, mit ihm die Wellen,
Die an Bord die Blässe schwellen
Lassen bis mit einem Mal
Die Schiffsbesatzung kotzt. Im Strahl.
Die Szene, die nun folgt, ist wild
Und suchte man nach einem Bild
Wär’s eher Pollock als Renoir
Mehr Otto Dix als ein Degas.
Wo waren wir? Der Musikant!
Ja richtig! Hut ab, Guter Mann!
Nachdem der erstere entleert
(Also der Hut), wird frisch geehrt
Das Andenken des King of Soul:
James Brown wird angestimmt, und wohl
Im selben Augenblick das Schiff
Gesteuert auf ein großes Riff.
"Ein Riff?" denkt ihr? "Im Ernst?" und wundert
Euch. "Im einundzwanzigsten Jahrhundert?"
Dazu muss man wissen, dass
Der Kapitän, das alte Aas,
Säuft, wie ein Loch, bei Tag und Nacht
Und selten auf der Brücke wacht.
Sein Selbstverständnis ist, ganz schnell
Umrissen, unprofessionell.
Und als das Schiff vor Skagen sinkt
Ist er der erste, der den Drink
Abstellt und sich noch in der Nacht
Per Rettungsboot vom Acker macht.
Für Mutti und den Musikus,
Für Vatti und den Rest ist: Schluss.
Doch kurz vorm Ende stimmt der Mann
Mit der Gitarre dies hier an:
"Es war mir ein Vergnügen Euch
Zu unterhalten. Und mich freut
Ein wenig, dass der letzte Song
In Eurem Leben der hier..." KLONK!
Dann knallt er gegen eine Wand.
Das ist, wie er sein Ende fand.
Was besser ist als kaltes Wasser,
Das voll Kotze ist. Und nasser.